Ganya ist das Musterbild eines osteuropäischen Straßenhundes. Klein, robust, pflegeleicht, unauffällig, aber durchsetzungsfähig.
Er ist einer der Hunde die ich nicht missen möchte, bei denen ich mich aber wirklich Frage, wo die Reise hingehen soll. Natürlich wäre es traurig gewesen, wäre er in einer Tötung verendet oder angefahren im Straßengraben zurückgeblieben. Was man aber nicht unterschätzen darf ist der Stress, den das Leben für einen solchen Hund bereithält, wenn er in eine völlig neue Welt wechselt wo Menschen drauf bedacht sind ihm gerecht zu werden, ihm sämtliche Mittel zur Verfügung stellen aber auch, größten Teils unbewusst, Dinge voraussetzen, die ein braver deutscher Bello halt so macht. Mal abgesehen von den Horrorgeschichten aus Osteuropa würde ich den meisten Menschen dort ein sehr natürliches Miteinander mit den Hunden “unterstellen” sowie die Fähigkeit auf eine sehr gradlinige Art mit ihnen zu kommunizieren. Lernen durch Versuch und Irrtum sowie die Integration in die Gemeinschaft für den “netten” Hund funktionieren dort vielerorts noch sehr gut. Weswegen man auch tatsächlich sehr fröhliche, genügsame und nette Hunde in diesen Ländern finden kann.Ganya, und das ist die gute Nachricht, hat alle diese Skills.
Warum er noch kein zu Hause hat liegt an der hier vorherrschenden Definition von Hundewohl und dem Umgang mit geretteten Hunden aus dem Ausland. Manchmal, so kommt es mir vor, werden grade diese Hunde, nach ihrer Ankunft in eine große rosa Wolke aus Zuckerwatte gepackt und mit Feenstaub und Liebe zugerieselt, bis der Arzt kommt. Natürlich nehmen einen die Geschichten mit und man will Verbesserung und Linderung schaffen. Aber Sätze wie “ Der ist eben scheu und hat Angst, da kann man nichts machen” oder “ Der wurde so gequält, ich bin froh dass er mich akzeptiert”, sind super gruselig, erklären sie doch, einen Hund mit einem massiven Problem genau darin zu belassen. Satt, sauber, glücklich ist eben in dem Fall NICHT das Einzige was Hunde wollen. Einen zuverlässigen Menschen, sozialer Kontakt und Raum für Probleme und Konflikte sowie das Erarbeiten gemeinsamer Lösungen gehören eben auch dazu. Integration heisst das Zauberwort.
Ganya sucht eben weder Mitleid noch will er “bemuttert” werden er braucht ehrliche Menschen, die soziale Fähigkeiten und das nötige Fachwissen besitzen, ihn anleiten können und sich nicht hinter einem Sortiment an Hilfsmitteln aus dem Tierfachhandel verstecken.
Als Ganya zu uns kam konnte er uns nicht verstehen. Er verkrümelte sich in einer Ecke und alles und jeder der seine von ihm als passend empfundene Individualdistanz nicht wahren wollte, wurde weggedroht. Ganya verfiel immer wieder in ein defensiven Abwehrschnappen und sprang dann in letzter Konsequenz gezielt an einem vorbei, um das Weite zu suchen. An der Leine kreischte und drohte er alle Außenreize an, die er belebt oder unbelebt als Problem empfand. Er war in einem regelrechten Dauerkriegszustand.
Was also tun? Ganya schien mit seinem neuen Leben in good old Germany schlicht überfordert. Er verstand nicht wozu Gassiegehen an der Leine gut sein sollte und vor allem wusste er nicht, dass der Mensch hinten an der Leine für ihn eine Funktion übernehmen konnte.
Körperkontakt und Streicheleinheiten empfand er als bodenlose, ranganmaßende Frechheit und überhaupt …warum beschränken deutsche Menschen sich nicht wie die Leute aus dem bulgarischen Shelter auf Kurzkontakt und eine Hand voll Futter? Was los bei denen?
Vorangegangene Furcht wich der Empörung und Ganya machte dicht.
Stress und Frustration sind denkbar schlechte Berater, demnach entschieden wir uns dazu, Ganya in der großen Gruppe mitlaufen zu lassen, wo er erstmal wieder untertauchen und mit Gleichgesinnten aus Entfernung auf Menschen schimpfen konnte. Was er während seiner “Gangphase” mit rumänischen und ungarischen Kumpels aber auch tat, war beobachten. Immer wieder bauten wir kurze Sequenzen ein, in denen wir den anderen Hunden körpersprachlich Angebote machten, Krawallbürsten körpersprachlich wegdrohten und hier und da ein bisschen Management betrieben. Wir ignorierten ihn dabei vollkommen und auch sein immer näher ran schleichen, fand erstmal keine weitere Beachtung, außer dass mal ein Angebot kam sich zu nähern oder aber auch mal ein drohender Blick in seine Richtung gingen, was ihn dazu brachte sich zu nähern oder auf Abstand zu bleiben, weil grade ein weniger netter Geselle bei uns stand der ihn womöglich vertrieben hätte. Und dann entschloss er sich halt doch ganz ran zu kommen, um Nähe einzufordern und freute sich morgens, wenn wir in sein Zimmer kamen um ihn raus zu lassen. Damit war der Start für unsere Arbeit mit ihm geebnet. Natürlich hätten wir auch mit Futter arbeiten können ich argumentiere in Beziehungen aber selten über Ressourcen, da das sowas von “kaufen” hat und Konflike nicht ernst nehmen…. wer mag schon ewig Snickers essen wenn s eigentlich um Konflikte geht? Irgendwann muss die Befindlichkeit auch mal Raum bekommen und Klärung erzielen. Andernfalls kämpft man bald mit Diäten, Diabetes und Depressionen.
Außerdem finde ich es besser, wenn Hunde sich ehrlich auf einen Menschen einlassen statt geködert zu werden.
Über dieses Prinzip, also die Diskussion über Räume, zuverlässige Angebote aber eben auch die Möglichkeit Abstand herzustellen, wenn er sich unangemessen verhielt, ist der Heute-Zustand so, dass Ganya einen guten Begleiter darstellt, der auch das Tragen eines Maulkorbes akzeptiert und der sich was Bedrängungen und Übergriffigkeiten von Menschen angeht grade zunehmend verbessert. Auch am Gassiegehen und mit seinem Menschen, zusammen die Welt zu entdecken hat er mittlerweile reges Interesse entwickelt. Ganya ist auf dem besten Weg sich an unsere Haustierkultur und unsere Idee eines erfüllten Hundelebens zu gewöhnen. Wichtig ist vor allem, dass er den Rahmen bekommt, in dem man mit seinem Unverständnis umgehen will und kann.
Ganya wäre wohl gerne Zweithund. Er liebt es sich mit Artgenossen zu verbrüdern und Hundedinge zu tun, die mit Menschen eben nicht gehen. In Kuhscheisse wälzen zum Beispiel.
Er ist immer noch kein Hund, den fremde Menschen einfach anfassen können oder dem die Freude ins Gesicht geschrieben steht wenn er bedrängt wird, seine Drohgebärden und die Ratlosigkeit gegenüber Menschen gehören allerdings der Vergangenheit an. Souveränität und Zuverlässigkeit im Umgang mit fremden Situationen wünscht sich Ganya von seinen Menschen. Ein Haus mit Garten braucht er nicht, er braucht Zusammenhalt und gemeinsames Sein, Führung und Spaß am entdecken.
Ganya ist 8 Jahre alt und kastriert. Kennt vernünftige Kinder( waaahahahahaha!) und Katzen und kann ohne Leine laufen. Im Auto ist er ruhig, halt voll der Sonnenschein 😊